Schirm, Charme und Pulpo

Die Stadt im rauen Norden Spaniens hat Monsterwellen, den Herkulesturm, und wer sich nicht auf sie einlassen will, macht einfach einen Ausflug nach Santiago de Compostela.

„Machen Sie einen Ausflug?“, fragt der Taxifahrer, als er hört, dass ich ein paar Tage bleiben möchte, „nach Santiago de Compostela?“ Nein, nicht im Geringsten. Diesmal genügt A Coruña, immerhin mit 250.000 Einwohnern die größte Stadt der Region. Eine Stadt, umgeben von Meeresbuchten, was will man meer? Und da wäre er ja schon, der erste Slogan für die Stadt mit dem größten Fischereihafen Europas und den verglasten Wintergärten, den weißen „galerías“, die Licht in die modernistischen Bürgerwohnungen aus dem 19. Jahrhundert bringen sollten. Sie erzeugen ein angenehmes Balkongefühl, auch wenn es draußen regnet und windet. Die ersten auffälligen Glasfassaden-Konstruktionen hatte es auf Hochseeschiffen gegeben, doch erst an Land entwickelten sie ihre Vielfalt. A Coruña wird nicht zuletzt deshalb als „Balcon do Atlántico“ bezeichnet.
Wenn man diese Stadt promoten wollte, müsste man sich zuerst über die Markenbezeichnung unterhalten. Da mussten die Kastilienfans und für Verfechter eines unteilbaren Spanien eine bittere Pille schlucken. Es hat sich zwar international nur wenig herumgesprochen, aber seit 1983 hat das ehemalige „La Coruña“ sein L eingebüßt. Auf „gallego“, also Galicisch, heißt der weibliche Artikel, ganz wie im nahe verwandten Portugiesischen, einfach nur „a“. Denn Galicien ist nicht nur eine der 17 „Autonomen Gemeinschaften“ Spaniens, sondern genießt seit 1981 einen speziellen Status, den „Estatuto de Autonomía de Galicia“, für den damals 73,35 Prozent der Wähler stimmten. Seitdem darf, ja muss man ganz offiziell A Coruña sagen. Allerdings wurde die Hauptstadtwürde an das nicht halb so große Santiago verloren, was die größte Demonstration in der Geschichte der Stadt auslöste. Zwecklos. Die Frage einer Erneuerung dieses Statuts, womöglich mit einer Abspaltung einer unabhängigen Nation von Spanien (wie es das Baskenland und Katalonien versuchen), liegt immer wieder in der Luft. Doch die Leute in A Coruña hängen keine Fahnen in die Fenster. Sie sind pragmatisch. Vielleicht betreiben sie deshalb den am längsten in Betrieb stehenden Leuchtturm der Welt.

Turm aus Karamell. Der Herkulesturm (Torre de Hercules), 109 Meter über dem Meeresspiegel auf einem grasgrünen Hügel, ist der einzige Leuchtturm aus der Antike, der heute noch in Betrieb ist. Im 1. Jahrhundert haben ihn die Römer am Ort des mythischen Brigantium errichtet, namentlich war es Caius Sevius Lupus aus Aeminium (Coimbra). Zweitausend Jahre sind eine ordentliche Zeit. Damit er nicht zusammenfiel, stützte man ihn hier und dort, bis man ihn im Jahr 1788 modernisierte. Der umsichtige Ingenieur Eustaquio Giannini gab ihm die heutige Fassade, seine Höhe von 41,5 Metern wurde auf 59 Meter aufgestockt. Seine Leuchte sendet gegenwärtig alle zwanzig Sekunden vier gebündelte Lichtstrahlen aus.
„Turm aus Karamell“ nannte ihn Pablo Picasso (1881-1973), der fünf Jahre seiner Jugend ab 1891 hier verbrachte und das karamellgelbe Bauwerk wiederholt skizzierte. Nach Herkules heißt er, weil der griechische Held in der Legende seinen dreitägigen Kampf gegen den Riesen Geryon gewann. Er verliebte sich vor Ort in eine Einheimische, Crunia, und nach ihr nannte er die Stadt, die er hinter dem Felsen gründete. So kurz und so einfach. „Wir haben einerseits den Herkulesturm“, fasst die Dame an der Information die touristische Realität stolz zusammen, „und es gibt von A Coruña auch Ausflüge nach Santiago!“
Picasso sah das anders, ihm lagen solche Ausflüge fern, denn im Gegensatz zu seinem Vater, der hier als Zeichenlehrer eine Stelle erhielt und wiederholt meinte, „kein Málaga, keine Stiere, keine Freunde, nichts von nichts“, liebte er A Coruña bis zum Ende seines Lebens. Seine erste Ausstellung fand hier statt, der Diario de Galicia schrieb über den 13-jährigen: „Die Bilder zeigen nicht, dass ihr Urheber schon ein Künstler ist. Aber eines zeigen sie schon. Dass er nämlich einer sein wird.“ An dem Lob konnte er sich kaum freuen, drei Wochen zuvor war seine Schwester Concepción (Conchita) an Diphterie gestorben, und der Vater zog mit der Familie nach Barcelona.

Tankercrash und Ökoerziehung. Wenn es geregnet hat, mischt sich das vom Herkules-Hügel durch die dichte Pflanzenwelt abfließende Wasser mit dem Rauschen und Donnern der Brandung. Der raue Atlantik, der an dieser Küste alle paar Jahre Monsterwellen schickt, die spazierengehende Familien ausrotten, zeigt sich zu jeder Jahreszeit, besonders aber im Winter, von seiner rauen Seite. Bei der höchsten Sturmwarnstufe sind Wellen bis zu 12 Metern keine Seltenheit.
In der Bucht hinter dem Herkules-Turm steht das Aquarium Finisterrae, architektonisch das vielleicht hässlichste Aquarium Europas. Es bietet nicht nur die meisten Fische des Atlantiks, ein großes Robbenpool und einen Oktopus-Schwerpunkt, es ist auch die wichtigste Stätte der Ökoerziehung für die Küste Galiciens. Zwei Anker des verunglückten Tankers „Aegean Sea“, der 1992 direkt vor der Stadt A Coruña sank und dabei 70.000 Tonnen Öl verlor, sind ausgestellt. Zehn Jahre danach ging etwas weiter draußen der Tanker „Prestige“ zu Bruch und verlor eine vergleichbare Menge Öl. Letzteres Unglück zählt aufgrund der erschwerten Bedingungen bei der Reinigung zu einer der größten Ölkatastrophen Europas. Daneben löste es in Galicien auch ein politisches Erdbeben inklusive Rücktrittswelle aus.

Lieben Sie Süßes? Das Weichbild A Coruñas wirkt auf den ersten Blick beliebig, eine spanische Stadt, auf deren Ladenschildern, Aufschriften und Graffiti sich diverse sprachliche Farbtupfer eingeschlichen haben, man schreibt auf Galicisch Xogos (ausgesprochen: sch; für Juegos) oder Igrexa (für Inglesia). Auch fallen die Regenschirme in den Auslagen auf. Man blickt auf wild zerrissene Wolken, typisch für diese Küste, grau bis schwarz – dazwischen blauer Himmel. Die China-Shops verkaufen Schirme recht offensiv für 2 EUR. Wer jetzt kauft, wird mit einem Tag Schirmtragerei bestraft. Das ist klar. Am nächsten Tag lässt man ihn daheim und wird pitschnass. Oder man lässt die Schirme schon am ersten Tag Schirme sein und wird mit dem Sieg in der täglichen Schirmlotterie belohnt. A Coruña gehört – mit Santiago und Vigo – zu den regenreichsten Städten Europas. Das macht einen grünen Sommer und eine frische Luft, die nach Meerwasser duftet, der sich mit dem der Backwaren vermischt. Was in den Straßen neben den Schirmen am meisten auffällt, ist die hohe Anzahl der Pastelarias, Konditoreien, Süßwarengeschäften. Es wirkt, als würden die Leute im harten iberischen Norden an Zuckermangel leiden.

Kugelaufzug. Der Elevador Panorámico auf den Monte de San Pedro sieht aus wie ein Tentakelende des Brüssler Atomiums und ist ebenso bar jeder Sinnhaftigkeit. Wer den Panoramaweg vom mondsichelförmigen Stadtstrand, zusammengesetzt aus Praia de Orzán und Praia de Riazor, bis zu seinem Fuße spaziert, hat schon mehr Höhenmeter gemacht als der Aufzug selbst überwindet. Nur an dieser Stelle, jener mit schroffem Felsen, kann man unmöglich nach oben und besteigt erfreut die Glaskugel. Abfahrt alle 30 Minuten, Zeit zum Denken. Wie entstehen solche Bauwerke, anders gefragt, war A Coruña irgendwann Kulturhauptstadt, sagen wir 2007, die Kugel das damalige Prestigeprojekt? Zur Zeit ist sie etwas verrostet und surrt wie ein Käfer auf und ab, die Kugel menschlicher Baufreude, l´ascenseur pour l`art de l´ascenseur sozusagen. (Nachtrag: Erraten, erbaut 2007! Selbsternennung zum Reisejournalisten des Jahrzehnts! Und auch falsch – denn selbstverständlich war nur Santiago de Compostela Kulturhauptstadt!)

Zauberhafte Tentakel? Die Cafetaria Manhattan Plaza, in einem Gloriette-Pavillon, den sie sich mit dem asiatischen Junkladen „Wok Two“ teilt, ist ebenfalls eine Zeitmaschine, nur noch schräger. Damen mit Dauerwellen aus den Achtzigerjahren, Kellner in schwarzen Anzügen, Spiegel an der Decke, alles heruntergekommen und irgendwie gemütlich, nimmt man die Achtzigerjahre als Maßstab. Von innen blickt man auf zwei bis drei Spuren Verkehr und den Flagshipstore des Real Club Deportivo La Coruña (da ist es ja, das gute, alte L vor A Coruña), der vor einem Jahrzehnt sehr erfolgreich war, jetzt aber zwischen 1. und 2. Spielklasse pendelt. In dieser Saison tat er sich vor allem durch ein spektakuläres 0:8 gegen Barcelona im Heimstadion hervor.
Ein stabileres Atout ist das Meer. Der weitläufige Hafenbereich A Coruñas eignet sich nicht nur ideal für militärische und Handelszwecke. Die lokalen Fischer führen hier den fast aussichtslosen Kampf gegen billige Importware. Im Fischereihafen versorgen sich frühmorgens neben Restaurants und Fischläden die Großkunden Spaniens mit Seeteufel, Seehecht und allen voran Pulpo. Eine galicische Spezialität heißt schließlich „Pulpo con Cachelos“, in der Oktopusquader in Olivenöl mit Erdäpfeln quasi verschmelzen. Seltsam, ein solches Gericht zu verzehren, wenn man gerade noch im Aquarium die hoffnungsvollen Oktopusse mit den zauberhaften Tentakeln besichtigte. Schmeckt aber trotzdem gut. Natürlich gibt es auch Jakobsmuscheln. Auch für die, die niemals den Jakobsweg gehen wollen – nach Santiago de Compostela.

 

Unterkunft:
Only-apartments, ausgehend aus Barcelona, ist eine Art kleineres AirBnb, das oft die besseren Angebote hat. Über 120.000 Apartments für Kurzaufenthalte in mehr als 2000 Destinationen weltweit. www.only-apartments.de
Hotel Blue A Coruña, von Trip Advisor und Booking zum besten Hotel der Stadt gekürt ist ein guter Ausgangspunkt, um A Coruña zu erkunden. www.hotelbluecoruna.com

Anreise
mit Vueling, dem drittgrößten Low Cost Carrier Europas, mit Hubs in Barcelona und Rom für 160 Destinationen, darunter Wien, www.vueling.com/de.

Aquarium Finisterrae, Paseo Alcalde Francisco Vázquez, 34, A Coruña, www.mc2coruna.org/aquarium.
[foto a_coruna_box_aquarium]

Retro-Kaffeehaus und Restaurant: Cafetaria Manhattan Plaza, Plaza Pontevedra 24, A Coruña; Meson do Pulpo, hier gibt es Oktopus ganz simpel, als Spezialität, jedenfalls aber in bester Qualität, Franja 9-11, A Coruña.
[siehe fotos a_coruna_box_manhattan und a_coruna_box_pulpo]

Galicisch. Von 4 Millionen Sprechern weltweit als Muttersprache verwendet, erscheint diese mitelalterliche Sprache den Spaniern als Portugiesisch und umgekehrt.

Pablo Picasso verbrachte hier die am ungenauesten erforschte Zeit seines Lebens. Kleines, freundliches Museum im zweiten Stock in der ehemaligen Wohnung seiner Familie. Casa Museo Picasso, Calle Payo Gómez, A Coruña.

Niki Lauda. In Galicien ist man als Österreicher schnell beliebt. Denn rund um A Coruña wird kolportiert, dass der frühere Formel-1-Weltmeister auf Vaterseite galicische Vorfahren hat.

Unentschlossenheit. Wenn du jemanden aus A Coruña auf einer Stiege triffst, dann weißt du nicht, ob er gerade nach oben oder nach unten geht – wird in Spanien gesagt.

 

Der Autor war eingeladen von Only-Apartments, www.only-apartments.de und Vueling Airlines, www.vueling.com